Die Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) haben gemeinsam Stellung genommen zum Entwurf des Niedersächsischen Geriatriekonzepts des Ministeriums für Soziales,Frauen, Familie und Integration vom 19.12.2013.

Den aktuellen Entwurf des Niedersächsischen Geriatriekonzeptes in der Weiterentwicklung der bisherigen Geriatriekonzepte halten wir sowohl fachlich als auch gesundheitspolitisch für bedenklich, da er im Großteil seiner Formulierungen einseitig und ungerechtfertigt die Bedeutung der fachübergreifenden Geriatrie gegenüber der fachspezifischen Versorgung von Erkrankungen auf dem Gebiet der Neurologie betont. Zudem werden typische, ureigene neurologische Alterserkrankungen ohne ersichtlichen Grund und ohne wissenschaftliche Fundierung einseitig in das Gebiet der Inneren Medizin verlegt. Grundlegende Formulierungen hierzu finden sich in Sätzen wie

„Die in niedersächsischen Krankenhäusern vorgehaltenen Kapazitäten für Geriatrie werden im Niedersächsischen Krankenhausplan unter die Fachrichtung Innere Medizin subsumiert.“

oder

„…bleibt…festzustellen, dass das Ziel einer flächendeckenden Geriatrisierung der Versorgung der Bevölkerung bisher nicht erreicht worden ist.“

Die geriatrische Kompetenz in Niedersachsen findet in der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen in der letzten Fassung vom 1. Februar 2013 ihren Niederschlag in der Zusatzbezeichnung „Klinische Geriatrie“, welche u.a. von Internisten, genauso aber auch von Neurologen erlangt werden kann. Der Facharzt Innere Medizin und Geriatrie als Facharztkompetenz im Gebiet Innere Medizin wurde bislang von drei Ärztekammern umgesetzt (Berlin, Brandenburg und SachsenAnhalt). Daneben gibt es aber auch den Facharzt für Neurologie und Geriatrie im Bereich der Ärztekammer Rheinland Pfalz. Vorschläge zur Einrichtung eines Facharztes für Geriatrie sind in der neu zu entwickelnden Musterweiterbildungsordnung sowohl für die Innere Medizin als auch für die Neurologie geplant.

In diesem Zusammenhang sei betont, dass mit der vorliegenden Stellungnahme weder die Bedeutung eines fachübergreifenden Behandlungsansatzes noch die Bedeutung der Altersmedizin als solche geschmälert werden soll. Wir begrüßen alle Aktivitäten, erkrankte Menschen frühestmöglich zu erreichen und einer gezielten, umfassenden medizinischen Betreuung zuzuführen. Wir sehen jedoch die Bedeutung der notwendigen, fachspezifischen Behandlung auf dem Gebiet der Neurologie in dem Konzept  deutlich unterrepräsentiert und ungerechtfertigt geschmälert. Positiv sehen wir hierbei, dass das vorliegende Konzept die Geriatrische Versorgung in Abgrenzung zu bereits bestehenden Strukturen zu erfassen sucht. Ein Teil der aufgeführten Anforderungen wird z.B. in der fachspezifischen neurologischen Frührehabilitation bereits seit Jahren erfolgreich vorgehalten (Phasenmodell der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation BAR 1995, OPS 8.552). Abgrenzungen zueinander lassen sich jedoch nur bilateral und nicht mit einseitiger Betrachtungsweise stabil erarbeiten. 

Die moderne Medizin hat sich in langen Jahrzehnten weltweit nur deswegen so hervorragend entwickeln können, weil die klinischen und grundlagenwissenschaftlichen Forschungen fachspezifisch immer weiter in die Tiefe gegangen sind. Deswegen haben wir heute – gerade auch in der Bundesrepublik Deutschland – eine hervorragende medizinische Versorgung, auch für höhere Lebensalter. 

Bezüglich der klinischen Ausrichtung sowie der Leitung einer Abteilung für Geriatrie, ob als Akut- oder als Reha-Abteilung, erscheint es nicht schlüssig, warum diese ausschließlich auf internistischem Fachgebiet ansiedelt. Nicht zufällig sieht auch die LÄK Niedersachsen den Erwerb der Zusatzbezeichnung Klinische Geriatrie für mehrere Gebiete vor (Allgemeinmedizin, Neurologie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Psychiatrie, Innere Medizin). Allein schon bei Betrachtung der Weiterbildungsinhalte sowie auch der in Ihrem Konzept unter Punkt 3.4.3 benannten Problemstellungen des „geriatrischen Syndroms“ wird die überragende Bedeutung der nervenärztlichen Fächer in der Versorgung geriatrischer Patienten deutlich und es ist nicht akzeptabel, dass diese Fächer, wie in Ihrem Konzept unter Punkt 5.4.3. zu reinen Konsilfächern „degradiert“ werden.    

Als neurologische Fachgesellschaften legen wir hiermit eine erste Stellungnahme zur Frage vor, inwieweit die Bürger der Bundesrepublik Deutschland – explizit im Bundesland Niedersachsen – eine fachgrenzenübergreifende geriatrische Allgemeinbehandlung oder eine spezifische fachärztliche medizinische Versorgung benötigen. Im Detail sind hier intensive analytische Vergleiche vonnöten, die allerdings in der Kürze der vorgegebenen Zeit nur gestreift werden können. 

Die Stellungnahme erfolgt auch aus der Sicht fachspezifischer Versorgungseinrichtungen konkret bezogen auf die sich mit der geriatrischen Versorgung ergebenden Schnittstellen und möglichen Äquivalente. Dies betrifft sowohl die akutgeriatrische Behandlung als auch die Rehabilitation und die Nachsorge. Wir werden im Folgenden die Formulierungen des Geriatriekonzeptes zitieren und dementsprechend aus unserer Sicht kommentieren.

„Der konzeptionelle Ansatz sieht daher vor, dass sektorenübergreifend (Krankenhausbehandlung, stationäre und ambulante Rehabilitation einschl. Tagesklinik) ein qualitativ hochwertiges, prozessorientiertes Angebot zur Versorgung multimorbider älterer und kranker Menschen geschaffen wird, ohne die Versorgung der Klientel in den vorhandenen, fachgebietsbezogenen Strukturen aus dem Auge zu verlieren.“(S.5)

„Der gerade im hohen Lebensalter zu beachtende interdisziplinäre Behandlungsansatz wie auch die besondere aktivierende und motivierende Pflege bleiben vor dem Hintergrund der immer stärker geforderten Wirtschaftlichkeit des Krankenhausalltags auf der Strecke.“ (S.5)

Die angeführten versorgungsspezifischen Angebote des Krankenhausalltags und die Interdisziplinarität werden gerade im Versorgungsbereich neurologischer Erkrankungen mit dem nahtlosen Übergang akutneurologischer  Behandlung und neurologischer Frührehabilitation fachgebietsbezogen bereits langjährig umgesetzt und durch das weiterführende Phasenkonzept der neurologischen Rehabilitation (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation) ebenfalls schnittstellenfrei ergänzt.

Dies betrifft Patienten aller Altersgruppen ohne Einschränkung, bei denen zwar die behandlungsbedürftige neurologische Erkrankung im Mittelpunkt steht, deren „Multimorbiditätsgrad“ aber sehr verschieden sein kann.

Wenn man der Definition der European Union Geriatric Medicine Society am 3. Mai 2008 folgt, so wird die Umsetzung der Definition der Geriatrie in Deutschland  deutlich problematischer:

„- die „Geriatrietypische Multimorbidität“ und höheres Lebensalter (überwiegend 70 Jahre und älter) oder durch ein

- „Alter 80+“ („oldest old“) aufgrund der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität, z.B. des Auftretens von Komplikationen und Folgeerkrankungen, der Gefahr der Chronifizierung sowie des erhöhten Risikos eines Verlustes der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus.

Geriatrische Patientinnen und Patienten zeichnen sich somit neben dem höheren Lebensalter durch eine jeweils individuell zu betrachtende Problemkonstellation aus, wobei die physiologischen Veränderungen des gealterten Organismus eine fundamentale Rolle spielen. Bei der Beurteilung, ob eine geriatrische Behandlung angezeigt ist, ist die geriatrietypische Multimorbidität vorrangig zu betrachten, eine alleinige Abstellung auf das kalendarische Alter reicht somit nicht aus.“ (S.16)

Die Multimorbidität ist in der Tat von der im Vordergrund stehenden Erkrankung abzugrenzen. Wenn „geriatrietypische“ Multimorbidität überwiegt und das beispielsweise neurologische Krankheitsbild eines Schlaganfall nicht mehr zum unmittelbaren Behandlungsfokus gehört, dann ist sicher geriatrische komplexe Behandlung angezeigt, die selbstverständlich auch unter der Behandlungsleitung eines geriatrisch qualifizierten Neurologen stattfinden kann. Hat der Schlaganfall aber „nur“ seine im fortgeschrittenen Alter üblichen Begleiterkrankungen, dann ist immer eine fachspezifische Behandlung angezeigt. Die neurologische Frührehabilitation ist als Krankenhausbehandlung mit hohem Rehabilitationsanteil in ihrer Grundfunktion und Grundausstattung auf Komplikationen und Begleiterkrankungen eingestellt und berücksichtigt diese Konstellation seit ihrer weitreichenden Etablierung Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Geriatrische Konzepte sollten sich deshalb wesentlich intensiver mit bereits vorliegenden Behandlungsstrukturen auch für Patienten über 80 Jahre beschäftigen und dabei insbesondere die neurologische Behandlungskette berücksichtigen. Bezüglich der in unseren Augen vordringlich notwendigen Abgrenzung zwischen fachspezifischen Behandlungsnotwendigkeiten und der geriatrischen Behandlung ist die Neurologie in dem vorliegenden Konzept unterrepräsentiert, die neurologische Frührehabilitation wird  als etabliertes eigenständiges Fach überhaupt nicht erwähnt.

„Das Geriatrietypische der Multimorbidität ist eine Kombination der nachfolgend genannten Merkmalkomplexe:

  1. Vorhandensein von Schädigungen der Körperfunktionen und -strukturen sowie alltagsrelevanten Beeinträchtigungen von Aktivitäten (in variabler Kombination) im Sinne eines geriatrischen Syndroms.
  2. Relativ hohes Risiko – gegenüber nicht geriatrischen Patientinnen bzw. Patienten – der Einschränkung der Selbstständigkeit im Alltag bis hin zur Pflegedürftigkeit.
  3. Relativ hohes Risiko – gegenüber nicht geriatrischen Patientinnen bzw. Patienten – von Krankheitskomplikationen (Thrombosen, interkurrente Infektionen, Frakturen, verzögerte Rekonvaleszenz u. a.).“(S.17)

Diese Beschreibung „geriatrischer Patienten“ gehört zum Standard und zur absoluten Normalität auch jeder indikationsspezifischen Behandlung, auch beispielsweise von Schlaganfallpatienten über 70 Jahren, d.h. es handelt sich mitnichten um geriatrische Patienten solange der Schlaganfall das dominierende Krankheitssymptom ist. Für die „moderne“ Rehabilitation sind die ICF-Gedanken zentral, man findet sie in den geriatrischen Darstellungen aber nur relativ versteckt und ganz sicher nicht als Teil der Grundkonzeption. Dagegen hat die neurologische Rehabilitationsbehandlungskette sehr wohl seit vielen Jahren die Entwicklung alltagsbezogener Aktivitäten für eine individuelle und sicher auch altersgerechte Teilhabefähigkeit ganz oben in ihrer Konzeption verankert.  In dem hier vorliegenden Konzept wird dagegen suggeriert, dass fachspezifische Behandlungen mit Scheuklappen durch die Krankheitslandschaft gehen und dass nur geriatrische Konzepte dies berücksichtigen. Die folgenden im Konzept der Geriatrie aufgelisteten Symptome sind dann im geriatrischen Versorgungsbereich angesiedelt, wenn sie nicht zu einem im Vordergrund stehenden akuten oder subakuten fachspezifischen Krankheitsbild gehören, wie es für die Neurologie beispielsweise der Schlaganfall darstellt.

„Bei geriatrischen Patientinnen und Patienten bestehen sehr häufig typische Problemstellungen, die „klassischen“ geriatrischen Syndrome, die einer umfassenden Diagnostik, eines konsequenten geriatrischen Assessments und entsprechender Interventionen bedürfen, um Schaden von der geriatrischen Patientin bzw. dem geriatrischen Patienten abzuwenden. Im Einzelnen sind hier z.B. zu nennen:

Immobilität
Sturzneigung und Schwindel
Schlafstörungen im Alter
Kognitive Defizite
Chronische Wunden und Dekubitus
Ernährung
Störungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt
Obstipation
Depression, Angststörung
Chronische Schmerzen
Sensibilitätsstörungen
Herabgesetzte körperliche Belastbarkeit/Gebrechlichkeit
Starke Sehbehinderung, ausgeprägte Schwerhörigkeit“(S 17ff)

Insofern ist die folgende ICF-orientierte Aussage des Konzeptes in dieser Form falsch, weil sie den Definitionsanspruch „geriatrisch“ global auf Krankheitsbilder anwendet, die  in eine fachspezifische Behandlung gehören. Ein Patient ist nicht automatisch einer geriatrischen Behandlung zuzuführen, nur weil er multimorbid und über 70 Jahre alt ist. Dies trifft auch auf die meisten neurologischen Patienten mit Schlaganfall, Parkinson-Syndromen etc. zu und würde dann tatsächlich zu einer aus medizinischer Sicht unerwünscht „Geriatrisierung“ der Versorgung des älteren Bürgers führen und ihm eine ggf. notwendige fachspezifische Behandlung verwehren. Wir sehen hierin eine eindeutige Diskriminierung des älteren Patienten!

„Eine ältere Patientin bzw. ein älterer Patient wird immer dann zu einer geriatrischen Patientin bzw. einem geriatrischen Patienten, wenn Erkrankungen mit Schädigungen (impairment) einhergehen, aus denen Fähigkeitsstörungen (functioning) und soziale Beeinträchtigung (participation) resultieren.
Mit anderen Worten, bei Erkrankung drohen stets Verlust von Alltagskompetenz und Selbstständigkeit im sozialökonomischen Kontext. Die ältere Patientin bzw. der ältere Patient weist darüber hinaus als weitere ihn kennzeichnende Eigenschaften eine oft unspezifische oder fehlende typische Symptomatik und einen protrahierten Krankheitsverlauf mit verzögerter Rekonvaleszenz auf.“ (S.21)

Dies ist aus neurologischer Sicht mit Nachdruck zurückzuweisen. Nicht erst die Geriatrie wird dem ICF-Gedanken gerecht, sondern dieser wird insbesondere in allen Rehabilitationsformen seit vielen Jahren nicht nur konzipiert, sondern auch umgesetzt. Die Neurologie ist an dieser Stelle sogar federführend.  Dies wird auch durch die Entwicklung von ICF Core Sets für das Thema „Schlaganfall“ dokumentiert. Sie schafft damit die Voraussetzung für eine altersgerechte Versorgung neurologisch erkrankter Patienten unter Berücksichtigung aller Begleiterkrankungen und Kontextfaktoren. Ein solcher Patient benötigt in der Regel keine geriatrische Zusatz- oder gar Ersatzbehandlung. Dies wird bei der Frage der gewünschten Versorgungsstrukturen noch von Bedeutung sein.

Die propagierte Verknüpfung von Akutgeriatrie mit geriatrischer Frührehabilitation und weiterführenden Rehabilitationsformen wird aus unserer Sicht unterstützt und entspricht der neurologischen Versorgung in Niedersachsen und auch bundesweit, vorausgesetzt, es werden typisch geriatrische Patienten behandelt und nicht solche, deren Indikation eindeutig fachgebietsspezifisch festgelegt ist. Ein solches Problem wird in der folgenden vereinfachten Bedarfserrechnung deutlich:

Der Bedarf aus anderen Fachgebieten wird vereinfacht dadurch errechnet, dass rd. 10% der Patientinnen und Patienten aus anderen Fachgebieten (insb. Chirurgie, Innere Medizin, Augenheilkunde, Dermatologie, Neurochirurgie, Neurologie, Urologie und Orthopädie/Unfallchirurgie), die ein geriatrisches Profil aufweisen (Anzahl der Nebendiagnosen), der Geriatrie rechnerisch zugeordnet werden.

Die Anzahl der Nebendiagnosen rechtfertigt in keinem Fall allein eine Zuordnung zur Geriatrie, höchstens die Intensität und Bedeutung der Nebendiagnosen und der Hauptdiagnose. Wahrscheinlich finden sich in jedem Fachgebiet auch geriatrische Patienten, aber die Frage, wie viele Patienten anderer Fachdisziplinen fälschlicherweise geriatrisch behandelt werden, muss in diesem Zusammenhang auch gestellt werden. Bei der Schaffung neuer geriatrischer Zentren sollte man letzterer Frage unbedingt nachgehen. Wir brauchen den Ausbau der Geriatrie für genau die geriatrischen Patienten, die aufgrund der sich entwickelnden Altersstrukturen behandlungsbedürftig sein werden, wir wollen aber die fachspezifischen Behandlungen, die heute vor keiner Altersgrenze Halt machen, gleichfalls bedarfsgerecht weiter entwickeln. Deshalb entsprechen auch die im Folgenden zitierten Voraussetzungen und Indikationen in dieser unspezifischen Form keineswegs einer sach- und fachgerechten Beurteilung und können so nicht akzeptiert werden.

„Voraussetzung für die geriatrische Rehabilitation:

  • die Patientin bzw. der Patient weist ein höheres Lebensalter auf
  • die Patientin bzw. der Patient ist rehabilitationsbedürftig
  • die Patientin bzw. der Patient ist rehabilitationswillig - die Patientin bzw. der Patient ist rehabilitationsfähig

Indikationen für die geriatrische Rehabilitation:

  • Behandlung von zentralen Lähmungen
  • Schluck-, Sprach- und Sprechstörungen nach Schlaganfall
  • Bewegungstherapie und Gangschule bei Morbus Parkinson
  • Operativ oder konservativ versorgte Knochenbrüche
  • Prothesenanpassung und Gangschule nach Amputationen
  • Bewegungstherapie und Behandlung von chronischen Schmerzen bei degenerativenGelenkerkrankungen
  • Abklärung und Behandlung neuropsychologischer Defizite
  • Hirnleistungstraining
  • Behandlung diabetischer Folgeschäden

Therapieziele:

  • Wiederherstellung der Selbständigkeit im Alltag
  • Rückführung der Patientin bzw. des Patienten in seine gewohnte soziale Umgebung“ (S.42)

Hier werden insbesondere neurologisch-fachspezifische diagnostische und therapeutische Behandlungsformen in das geriatrische Konzept übernommen und leider auch nicht differenziert betrachtet. Diese Vermischung ist in der vorliegenden Form zurückzuweisen. Sie würde in ihrer Umsetzung dazu führen, Patienten mit neurologischen Defiziten fachspezifische  Behandlungen vorzuenthalten und sie damit auch im Sinne der ICF wahrscheinlich qualitativ zu nivellieren. Natürlich können und müssen solche oder ähnliche Symptome im Rahmen eines sog. Geriatrischen Syndroms auch behandelbar sein, vorausgesetzt man hat zuvor eine ausreichende Indikationsauswahl getroffen. Diese sollte möglichst durch die entsprechenden Fachgebiete erfolgen. Insofern stimmt das folgende Zitat des Konzepts der Geriatrie auch etwas versöhnlicher, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass man es auch konsequent lebt  (Unterstreichungen durch uns).

„Bei der Gestaltung der Strukturen sind in Anlehnung an die Ergebnisse des Expertenforums des Kompetenz-Centrums Geriatrie vom 13.9.2011 folgende Grundsätze zu beachten:

  1. Nicht jede geriatrische Patientin bzw. jeder geriatrische Patient muss zwingend in einem geriatrischen Bett versorgt werden. Es sollte auch zukünftig beachtet werden, dass nicht jeder alte Mensch eine geriatrische Patientin bzw. ein geriatrischer Patient ist und nicht jede geriatrische Patientin bzw. jeder geriatrische Patient eine geriatrische Behandlung benötigt. Notwendig hierzu ist eine klare Definition von Kriterien, die zwingend eine geriatrische Behandlung erfordern.
  2. Geriatrische Versorgung muss integrativ und nicht additiv erfolgen. Die akutstationäre Versorgung wird u. a. durch den medizinischen Fortschritt zunehmend spezialisiert. Im Mittelpunkt der Versorgung älterer Menschen steht die Sicherung einer qualitativ hochwertigen krankheitsspezifischen Versorgung, während der Geriatrie die

Funktion als ergänzende Querschnittsaufgabe zukommt, die idealerweise durch eine geriatrisierte Versorgung im Zusammenspiel mit den Geriatrischen Zentren gewährleistet wird. (S.46)

Zu differenzieren und neu zu entscheiden sein, wird zudem der Begriff „Geriatrischer Patient“. Wir sehen in großem Umfang die Gefahr, dass Patienten mit neurologischen Erkrankungen ungerechtfertigter Weise einseitig zu geriatrischen Patienten umdefiniert werden. Auch der alte Mensch und auch der multimorbide Mensch kann durchaus primär ein neurologischer Patient sein und sollte dann auch so behandelt werden.

Zusammenfassung

Das vorgelegte Geriatriekonzept wird  in dieser Form  von uns nicht unterstützt und wir fordern zu einer Spezifizierung in einzelnen Problembereichen auf. Diese betreffen folgende Themen:

  • Bessere und eindeutigere Abgrenzung des Begriffs „Geriatrisches Syndrom“ durch Abstimmung mit den verschiedenen Fachgesellschaften wie u.a. Innere Medizin und Neurologie.
  • Frühe Festlegung der Behandlungsindikation durch den entsprechenden Facharzt, in besonderen Fällen auch in Abstimmung mit einem Geriater
  • Absolute Priorisierung der indizierten fachspezifischen Behandlung unabhängig vom Alter der Patienten
  • Diskussion der sich in vielen Fällen ergebenden Schnittstellen besonders zwischen neurologischer und geriatrischer Frührehabilitation und weiterführender Rehabilitation.
  • Einbringung der ICF-Strategien in das Konzept als Selbstverständlichkeit moderner Rehabilitation der meisten anderen Fachgebiete und nicht als besondere in der Geriatrie geübte Methode. Die ICF ist nicht geriatrisch entwickelt worden.
  • Aufrechterhaltung und bedarfsgerechte Ausgestaltung fachspezifischer Behandlungsformen in Akutmedizin und Rehabilitationsmedizin. Nicht durch die Geriatrie sollen Versorgungsengpässe in den einzelnen Fachdisziplinen aufgefangen werden, da jeder ältere Mensch auch das Recht auf eine optimierte und fachspezifische Versorgung hat.
  • Der objektive Bedarf für die komplexe geriatrische Versorgung wird von Seiten der Neurologie selbstverständlich nicht bestritten, aber mit Hinblick auf die Versorgungsqualität sollten nur diejenigen Patienten, die medizinisch begründet eher von einer fachübergreifenden Versorgung als von einer fachspezifischen Behandlung profitieren, als geriatrische Patienten versorgt werden.

Wir plädieren deshalb dafür, das bislang zu einseitige Geriatrie-Konzept Niedersachsen in ein kooperatives Konzept umzuwandeln, welches die Qualität der medizinischen Versorgung alter und multimorbider Menschen garantiert.  Hierzu sind   nicht nur die fachübergreifenden sondern auch die fachspezifischen Notwendigkeiten gebührend zu berücksichtigen. 

Lingen, Siegen, Jesteburg, 03.02.2014

Prof. Dr. med. Thomas Mokrusch
Ärztlicher Direktor, MediClin Hedon Klinik Lingen
Stellv. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR)

Prof. Dr. med. Martin Grond
Chefarzt, Neurologische Klinik Siegen
1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)

Dr. med. Hans-Peter Neunzig
Ärztlicher Direktor, Waldklinik Jesteburg
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Neurologische Frührehabilitation in Niedersachsen und Bremen (AGNFR)

Für die Neurologischen Frührehabilitations-Kliniken (alphabetisch nach Standort):

Prof. Kastrup
Chefarzt der Neurologischen Klinik

Dr. med. Matthias Elsner
Oberarzt der Neurologischen Klinik
Klinikum Bremen Ost gGmbH

Prof. Dr. med. Christian Winkler PhD
Chefarzt Neurologische Klinik, Krankenhaus Lindenbrunn, Coppenbrügge                                  

Prof. Dr. med. Dr. phil. Stefan Evers
Chefarzt Neurologische Klinik, Krankenhaus Lindenbrunn, Coppenbrügge

Prof. Dr. med. Jens Rollnick
Chefarzt der BDH-Klinik Hessisch-Oldendorf

Dr. J. Beyer
Chefarzt der Abteilung Frührehabilitation und Altersmedizin
Krankenhaus Ludmillenstift, Meppen   

Dr. med. Evelyn Märker
Chefärztin der Abteilung Frührehabilitation und Altersmedizin
Krankenhaus Ludmillenstift, Meppen   

Prof. Dr. Andreas Zieger
Chefarzt der Klinik für Neurorehabilitation
Evangelisches Krankenhaus Oldenburg

Prof. Dr.med. Stoegbauer
Chefarzt der Klinik für Neurologie
M. Roesner, Oberarzt Neurologische Frührehabilitation
Klinikum Osnabrück

Prof. Dr. Manfred Holzgraefe
Ärztlicher Leiter
Kliniken für Neurologische Rehabilitation und Frührehabilitation
Asklepios Kliniken Schildautal Seesen

Dr. med. A. Meyer 
Chefarzt Neurologie
MediClin Klinikum Soltau

Stellungnahme als PDF zum Download